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Interview mit Stefan Roszak

Stefan Roszak ist Musikpädagoge, Klangkünstler und Instrumentenbauer. Nach einer Ausbildung als Klavier- und Cembalobauer studierte er Musikwissenschaft, Kunstgeschichte, Philosophie und Schulmusik in Bochum und Berlin. Es folgte eine achtjährige Forschungs- und Lehrtätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Ästhetische Erziehung der Universität der Künste Berlin. Er ist überregional aktiv als Dozent- und Workshopleiter, gibt Seminare an Universitäten, führt Lehrer/innen-Fortbildungen durch und leitet künstlerisch-musikalische Projekte an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Schwerpunkte seiner Arbeit sind auditive Wahrnehmungsförderung, experimentelle Musikpädagogik, Improvisation, Kompositionspädagogik und experimenteller Instrumentenbau.

Stefan Roszak

Bei der Konferenz „Einfach Hören?!“ (13./14. November im Nikolaisaal Potsdam) stellte er seine „Experimentellen Instrumente“ vor und demonstrierte in einer Lehrprobe, wie und warum man damit ohne spezielle Voraussetzungen besonders gut eigene Musik erfinden kann.

www.experimentelle-instrumente.de

TD: Die Konferenz hier in Potsdam trägt den Titel „Einfach Hören?!“. Dabei ging es auch um die Frage, wie sich das Hören verändert, ob und wie es sich erlernen lässt. Kannst Du „Knackpunkte“ oder Prozesse in Deinem Leben benennen, an denen sich Dein eigenes Hören verändert hat?

SR: Spontan fällt mir dazu der Film „Amadeus“ ein. Als ich ihn gesehen habe, das war irgendwann Mitte der 1980er Jahre, hat mich dieser Film total bewegt. Ja, er hat mich gewissermaßen nervlich im positiven Sinn fertig gemacht. In diesem Film ist mir der dramatische Mozart zum ersten Mal begegnet. Der Mozart, der eher unter der Oberfläche zu finden ist. Vorher dachte ich Mozart sei ein Komponist, der immer nur „Trallala- und Hopsassa-Musik“ macht. Damit konnte ich nicht viel anfangen. Durch diesen Film habe ich den unheimlichen Tiefgang seiner Musik entdeckt. Und sie fasziniert mich bis heute. Noch während des Films habe ich bewusst die Entscheidung gefällt, dass ich professionell mit Musik zu tun haben wollte und Musik studieren möchte – und ich habe mich dran gehalten.

Ein ganz anderes Erlebnis hatte ich, als ich neu als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Künste (UdK) anfing. Zu der Zeit habe ich mich mehr und mehr für Neue Musik interessiert. Ich hatte in meiner Examensarbeit am Beispiel der Musik von John Cage über Ästhetische Erfahrung in der Grundschule geschrieben. Etwas später dann habe ich an einem fächerübergreifenden Seminar bei Daniel Ott, Kompositions-Professor an der UdK, teilgenommen. An diesem zweiteiligen Seminar nahmen viele Komponisten teil. Es fand im Winter und im Frühjahr auf dem Land in dem kleinen Dorf Sauen in Brandenburg, statt. Es ging v.a. darum wahrzunehmen und zu untersuchen, wie sich Klänge in der Landschaft verhalten: Klänge, die man selber in die Landschaft hineinschickt, akustische, elektronische Klänge, aber auch Klänge der Landschaft selbst. Sehr experimentell, neu und interessant war das für mich! Ich habe das als eine Art Initiationserlebnis erlebt: Ich habe gelernt, wie faszinierend es ist seine Ohren für die Welt der Klänge zu öffnen.

Etwas später fand am selben Ort in Brandenburg ein Workshop im Rahmen der „KlangKunstBühne“ statt – eine Art internationale Sommeruniversität der UdK . Ich hatte das Glück dort für Murray Schafer, einen berühmten kanadischen Komponisten und Klangkünstler, als Tutor arbeiten zu können. Schafer hat wegweisend die Soundscape-Bewegung, die heute weltweit aktiv ist, mitbegründet: Er hat Klänge systematisch archiviert, indem er Aufnahmen von Klangsituationen gemacht hat: Sprachen, Orte, Maschinenklänge, die zum Teil heute längst verschwunden sind. Und er hat das in seiner für ihn eigenartigen Mischung gemacht: mit dem Geist eines Forschers, Geografen oder Ethnologen, aber immer auch als Künstler und Musiker. Schafer ist bis heute einer wichtigsten Pioniere der Hörforschung.

Das waren drei wesentliche Anreger, die mir die Ohren in unterschiedlicher Weise geöffnet haben: der Film „Amadeus“, ein Seminar zum Landschaftsklang in Brandenburg und die persönliche Begegnung mit Murray Schafer.

TD: Ich hatte auf der Tagung den Eindruck, dass es gewissermaßen zwei unterschiedliche Schuhe sind: Musik mit dem „Ohrphon“ zu erklären und Musik zu hören, wie Du sie vermittelst, indem man sie selbst erfindet. Siehst Du das auch so? Und wenn ja, sollten die beiden Formen der Musikvermittlung unter unterschiedlichen Gesichtspunkten diskutiert und reflektiert werden?

SR: Ich glaube, dass es letztlich bei jeder Form von Musikvermittlung und Konzertpädagogik ganz wesentlich darum geht, Achtsamkeit und eine Lust am Hören zu erzeugen. Man sollte m.E. zuerst das sinnliche Erlebnis fördern und Musik sozusagen schmackhaft machen, den Appetit dazu anregen, sie bewusst hören zu wollen. Das ist vielleicht so, wie wenn man jemanden zum Essen einlädt: Es geht darum den Gast mit sinnlichen Erlebnissen zu beglücken. Man lenkt das Hören nicht mit dem Gestus des Besser-Wissers, sondern eher dem des Verführers.

Ich habe den Eindruck, dass das auch mit dem „Ohrphon“ zumindest teilweise möglich ist. Bei mir hat es jedenfalls funktioniert. Ich selbst schweife im Konzert mit meinen Gedanken oft ab. Gegen das streng strukturelle Hören habe ich eine gewisse Aversion, trotz oder vielleicht sogar wegen des musikwissenschaftlichen Studiums. Hinweise und Hintergründe können dazu beitragen, die Wahrnehmung auf den musikalischen Moment, den Verlauf und Zusammenhänge zu lenken, die Musik dadurch intensiver zu hören und vielleicht dazu anregen sich das Stück nach dem Konzert nochmals anhören zu wollen.

Um noch einmal auf die Frage zurück zu kommen: Ich glaube, was Du ansprichst, sind keine Gegenwelten: Es geht immer um die Lust am Hören, um die Erfahrung – egal, ob ich über Umgebungsklänge und Alltagsgeräusche spreche, die ich bisher nie bewusst oder ästhetisch wahrgenommen habe, oder ob ich ein Mozartstück höre. Wesentlich ist letztlich die Achtsamkeit, eine Fähigkeit, mit der man den Hörgenuss deutlich steigern kann. Ein Teil davon ist aber auch Reflexion, dass ich mir als Hörender selbst zuhöre und mich in diesem Moment als sinnlich aktiver Mensch erlebe. Ich mache mir quasi simultan auf einer Metaebene bewusst, dass und wie ich höre. Es ist immer wieder eine pädagogische Herausforderung für mich, Menschen genau dafür zu sensibilisieren und damit nicht zuletzt ihre Genussfähigkeit und Lebenslust zu fördern.

TD: Funktioniert kollektives Improvisieren mit ungewöhnlichen Klängen und experimentellen Instrumenten besser mit Kindern oder mit Erwachsenen, die ja auf viel mehr Hörerfahrung zurückblicken können?

Kinder im Grundschulalter sind in der Tat sehr offen, ihre Spiellust ist ausgeprägter und sie haben ihre musikalischen Präferenzen noch nicht so stark ausgebildet. Kinder, mit denen ich arbeite, haben noch nie ernsthaft in Frage gestellt, ob völlig atonale, experimentelle Musik, die ich mit ihnen mache, überhaupt Musik ist. Sie wundern sich auch nicht darüber, dass ich eine Zink-Wanne mit größter Selbstverständlichkeit als Musikinstrument bezeichne. Erwachsene tun das schon eher.

Im Grundschulalter spielt Musik bei der Bildung von Peer-Groups und im eigenen Identifikationsprozess noch nicht so eine zentrale prägende Rolle wie später in der Pubertät. Dann kann es, zuindest anfänglich, durchaus etwas schwieriger sein Schüler/innen für Klangexperimente zu begeistern. Letztlich aber, so meine Erfahrung, mögen es Menschen jeden Alters gern in ein vorbereitetes Setting zu gehen, wo man nach Herzenslust mit den eigenen Händen und Ohren mit Klängen spielen kann. Wenn Erwachsene mit meinen experimentellen Musikinstrumenten spielen, werden sie meist sowieso ganz schnell wieder zu Spielkindern.

Das Interview führte Till Dahlmüller.

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